Zwangsstörungen nannte man früher auch Zwangsneurosen und ging davon aus, dass eine Behandlung sinnlos sei. Heute werden gerne Psychotherapie und Psychopharmaka kombiniert. Aber auch so werden nur 10 bis 20 Prozent der Betroffenen symptomfrei, die Zahlen schwanken. Etwa die Hälfte der Zwangserkrankten leidet ihr ganzes Leben an dieser tatsächlich nervigen Störung.

 

Sigmund Freud, der Großvater der Psychoanalytik, macht eine mögliche Fixierung auf die anale Phase in unserer frühkindlichen Entwicklung verantwortlich, was so viel heißt wie: Im Alter von etwa zwei oder vier Jahren erfahren wir die Afterregion oder den Toilettengang oft im Kontext mit Lob und Tadel, Macht und Widerstand. Diese Phase ist entscheidend für die Entwicklung der Autonomie, der besonders rigide Eltern entgegen wirken können. Wenn dadurch die Entwicklung stockt, Schädliches erlebt wird, und es so zu einer Fixierung kommt, kann es später zur Entwicklung eines „analen Charakters“ kommen, so der freudsche Ansatz. Dieser anale Charakter ist charakterisiert durch Geiz, Eigensinn und Ordnungsliebe. Allerdings verdrängen wir das Kindheitsproblem in unser Unterbewusstes, was der Psychoanalytiker in zahlreichen Sitzungen im Gespräch mit dem Patienten wieder zu Tage bringt.


Es erscheint fraglich, ob Psychopharmaka (spezielle Antidepressiva und Serotonin-Präparate) hier die richtige Ergänzung sind. Zumal die Hirnforschung bis heute in Sachen Zwänge eher auf wackeligen Beinen steht: Eine Hypothese besagt, dass bei der Zwangsstörung bestimmte Botenstoffe ihren „Job“ im Hirn nicht richtig ausführen, eine andere geht davon aus, dass gewisse Bereiche im Gehirn überaktiv sind, so dass beim Betroffenen die Information nicht ankommt, dass die Handlung, zum Beispiel die Herdplattenkontrolle, längst ausgeführt ist. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sollen dagegen wirken. „Tatsächlich konnte in verschiedenen Studien belegt werden, das solche Serotonin-Wiederaufnahmehemmer eine positive Wirkung auf die Zwangssymptomatik haben. Es konnte allerdings bislang nur ungenau erklärt werden, weshalb genau diese Medikamente eine zwangsmindernde Wirkung haben“, so der Schweizer Psychotherapeut Dr. phil. Hansruedi Ambühl in seinem Buch „Wege aus dem Zwang“.

 

Fakten
Egal ob Wasch-, Putz-, Ordnungs- oder Kontrollzwang, Berührungszwang, Wiederholungszwang, Zählzwang, verbale Zwänge, Sammeln, Stapeln, Horten, ja auch zwanghaftes Kratzen oder Haare ausreißen…– dies sind die Spitzenreiter bei den psychischen Erkrankungen jenseits des Teenager-Daseins: Zwangsstörungen. Sie greifen ein in unser Leben, beeinflussen uns und unser soziales Umfeld genauso stark wie eine Axt Holz spaltet. Zwei Prozent der Bevölkerung quer durch alle Längen- und Breitengrade sind von Zwängen betroffen, doch niemand spricht darüber. Ängste hingegen scheinen derweil salonfähig.

 

Entwarnung und Warnung
Zwangsgedanken, ja sogar Zwangsimpulse, jemanden zu verletzen oder zu töten, auch eine nahe stehende Person, sind recht häufig, kommen aber tatsächlich als Handlung durchgeführt eher in Film und Fernsehen als in Wirklichkeit zur Umsetzung. Es gibt weit mehr Formen von Zwängen, als man für möglich halten mag. Wichtig ist, eine Zwangsstörung möglichst frühzeitig zu erkennen und ihr entgegen zu wirken, denn Zwangserkrankungen haben die Tendenz, sich auszuweiten. Es bleibt dann nicht mehr nur bei dem einen Zwang, es kommen im Laufe der Zeit weitere hinzu. Oft kann dann nur noch ein Facharzt oder ein spezialisierter Heilpraktiker für Psychotherapie dem Zwangserkrankten helfen.

 

Millionen-Krankheit ohne Image
In Deutschland geht man von über einer Million Betroffenen aus. Die vermutete Dunkelziffer ist sogar weit höher. Damit sind Zwänge nach Depression, Schizophrenie und Angststörungen die vierthäufigste psychische Erkrankung. Experten schätzen, dass höchstens 10 % der von einem Zwang Betroffenen einen Psychiater aufsuchen. Frauen und Männer sind in etwa gleich oft betroffen. Bei Frauen ist der Waschzwang häufiger, bei Männern der Kontrollzwang. Der Beginn der Symptomatik liegt in der Regel vor dem 35ten Lebensjahr, meist bereits in der Kindheit.

 

 

Frage: Was geschieht im Gehirn bei einer Zwangsstörung?

Antwort: Man kann sich das in etwa so vorstellen: Im Gehirn arbeiten viele Systeme eng miteinander zusammen, die sich gegenseitig ergänzen und kontrollieren und wechselseitig voneinander abhängig sind; vorzugsweise ist alles dabei im Gleichgewicht, was unser Körper einfach braucht. Ist dieses Gleichgewicht gestört, kommt es zur Zwangsstörung. Bei einem solchen Ungleichgewicht, einem Serotoninmangel, ist das Zusammenspiel der Nerven, Synapsen und Neurotransmitter gestört. Serotoninwiederaufnahmehemmer verstärken die Wirkungsweise des körpereigenen Serotonins, und kommen hier oft zum Einsatz. Allerdings wirken die erst nach einigen Wochen und dann nur bei etwa der Hälfte der Patienten bei einer Rückfallquote von an die 90 %, selbst bei einer Einnahme von einem Zeitraum über ein oder zwei Jahre. Und es ist bis heute noch unklar, was genau bei diesen Präparaten direkt oder indirekt wirksam auf die Zwangsstörung ist. Es wird unter anderem auch vermutet, dass die Schlafverbesserung, die bei der Einnahme oft mit einhergeht, ursächlich für eine Verbesserung sein kann.

 

Frage: Da scheint die Forschung ja noch wahrlich reichlich Bedarf zu haben. Aber weiß man, wo genau bei einer Zwangsstörung dieses Ungleichgewicht passiert?

 

Antwort: Wenn man das Gehirn genau in der Mitte längs durchschneidet, ziemlich genau in der Mitte oberhalb des Balkens, lateinisch Corpus Callossum, befindet sich der Gyrus Cinguli. Unter anderem hat dieses System die Aufgabe, unsere kognitiven Fähigkeiten und unsere Anpassungsfähigkeit zu bewahren. Bei einer Störung in diesem System verliere ich diese kognitiven Fähigkeiten.

Frage: Wie kann man sich das genau vorstellen?

Antwort: Im Alltag müssen wir ständig unterscheiden zwischen wichtig und unwichtig. Auf dem Weg zum Zeitungskiosk begegne ich Autos, Passanten, Radfahrern, Hunden, Kindern, Fliegen, Flecken auf dem Fußweg, was auch immer –alles irrelevant für mich auf dem Weg zu meiner Zeitung. Unser Cinguläres System entscheidet für uns dabei -für uns völlig unbewusst-, was für mich wichtig ist und was nicht. Ist das System gestört, und das ist bei Zwangsstörungen so, dann verhafte ich plötzlich zum Beispiel bei völlig unwichtigen Dingen, dem Fleck auf dem Fußweg, dem Strich auf der Straße, der Laterne, die dann als Zwang zum Beispiel gezählt wird, und das Leiden beginnt.

Aber der Zwang hat auch noch einen Aspekt: Oft tritt er auf, wenn wir das Gefühl verspüren, keine Kontrolle zu haben und hat dann die Halt gebende Funktion, sei es Nägel kauen oder auch Haare ausreißen. Es ist eine Art Angst-Bewältigung über die Zwangsgedanken oder in dem Fall Zwangshandlungen. Genau betrachtet kann Angst die Ursache sein von einem Zwang, aber auch die Folge, weil der Betroffene wiederum Angst hat, durch seinen Zwang etwas Unerwünschtes zu tun.

 

Frage: Wann spricht man überhaupt von Zwangsstörungen?

Antwort: Zwanghaftes Verhalten, Angewohnheiten und Rituale geben auch Ordnung und Sicherheit. Unzählige Menschen stehen zum Beispiel nur mit dem rechten Bein zuerst auf, so etwas ist noch lange nicht pathologisch, erst in der Übertreibung wird es zwanghaft. Das merkt der Klient und seine Umwelt. Zwanghaft kann auch Nägelkauen sein oder zwanghaftes Zählen von Laternen oder Platten in Fußwegen ebenso wie der Wiederholungszwang. Da muss der Betroffene zum Beispiel die Haustür mehrfach, also eine ganz bestimmte Anzahl, vorher auf- und zumachen, bevor er sie dann final oder auch nach einem Ritual endlich abschließt. Besonders gemein wird es dann bei Trichotillomanie, dem Zwang, sich die Haare auszureißen zu müssen. Bei Zwangsgedanken ist es recht häufig, man könne von einem Stein, der vom Himmel fällt erschlagen werden oder anders herum: Man könne jemanden verletzt haben. Dann geht der Betroffene noch mal zurück um die Hausecke, um zu sehen, ob da jemand von ihm verletzt am Boden liegt.

Die Ursachen sind noch immer nicht eindeutig geklärt, da hat die Forschung bis heute noch großen Bedarf. Einig ist man sich, dass es, ohne eine richtige Erbkrankheit zu sein, eine genetische Veranlagung gibt. Kommt dann ein Auslöser hinzu, meist schon in einer sehr frühen Zeit im Leben, kann diese genetische Veranlagung wirksam werden.

 

Frage: Welche Art von Auslöser gibt es?

Antwort: Meistens sind es Lebenskrisen, Belastungen, die im Leben passieren, Beziehungskrisen, Trennungen, Tod, starker Stress oder zum Teil sogar frühkindliche Störungen.

 

Frage: Wo setzt da die Hypnosetherapie ein?

Antwort: In der Hypnosetherapie können wir in diese Bereiche zurück gehen, sogar in Bereiche, zu denen wir selber keine bewusste Erinnerung haben. Diese Methode nennt sich „back to the roots“, dabei gehen Therapeut und Klient dessen Leben phasenweise zurück und gemeinsam wird nach einer Stimmung oder einer Lebenssituation Ausschau gehalten, die als Auslöser verursacht hat, was der Klient jetzt als Störung empfindet. Dafür gibt es keine festen Zuordnungen wie bei Freud, sondern: Einsamkeit, Bedrohung, Schläge, Vernachlässigung, Trennung der Eltern…alles ist als Auslöser möglich. Man kann sagen: Die Lebenskrise findet über den Zwang ein Ventil. Diese Lebenskrise schauen sich Therapeut und Klient in der Hypnosetherapie gezielt gemeinsam an und der Klient durchläuft und erfährt dann diese Krisensituation neu und besser und geht daraus gestärkt hervor, nicht zuletzt deshalb, weil das Unterbewusstsein nicht unterscheidet zwischen real oder in Trance Erlebtem.

 

Und dies erklärt auch, wie erholt man sich nach einer geführten Reise in Hypnose fühlt, die man ja de facto gar nicht gemacht hat!

 

Dies ist ein Auszug aus einem Interview, das ich damals mit meinem Lehrer zum Thema Zwänge geführt habe: Peter Abadh Kühn, Leiter Berliner Schule für Heilkunde, langjähriger Gestalttherapeut, Heilpraktiker, Hypnosetherapeut> http://spirit-online.de/innere-ketten-sprengen-zwangs-stoerungen-die-stirn-bieten-teil-2.html